Virtuelle HV – weniger Finanzbildung als Kollateralschaden?!

Die vergangenen Jahre haben es klar aufgezeigt: Die Abhaltung von virtuellen Hauptversammlungen bei börsennotierten Publikumsgesellschaften hat sich in der Praxis in keiner Weise bewährt! Die virtuelle HV ist ein Modell, welches gemeinsam mit der Corona-Pandemie ad acta gelegt werden muss. Auffallend ist, dass sich vor allem jene für ein rein virtuelles Format aussprechen, die man noch nie auf einer großen Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft in Österreich gesehen hat. Es fehlt ihnen schlicht die Einsicht und auch das Wissen über die tatsächlichen Gegebenheiten bei einer Präsenz-Hauptversammlung, wodurch das Bewusstsein für die großen Vorteile einer Präsenz-HV insbesondere für Kleinaktionäre und Privatinvestoren fehlt.

Die Aktionärs- und Minderheitenrechte sind in Österreich bislang halbwegs fair ausgestaltet und bieten auch kleineren und jungen Investoren umfassende Möglichkeiten, wie zB das Auskunftsrecht (§ 118 AktG) in der Präsenz-HV. Ebendieses Auskunftsrecht und die gesamte Generaldebatte würde man mit dem Gesetzesentwurf nunmehr – bewusst oder unbewusst – enorm einschränken.

Für junge Aktionäre hatte die virtuelle Covid-19-HV keinerlei Attraktivität! Eine verbreitete “TikTok-Digitalität” ist kein Maßstab für eine ernste Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft. Diese Unterscheidung ist uns jungen Anlegern sehr wohl bewusst, dem Gesetzgeber bislang noch nicht. Die Teilnahmezahlen junger Aktionäre waren bei der virtuellen Variante extrem niedrig, selbst bei ATX-Unternehmen. Dies ist nachvollziehbar, niemand hat ein Interesse an einem anspruchslosen “Vorstands-TV”. Ein Interesse an Wirtschaft und Zukunftsvorsorge lässt sich in diesem Format für junge Menschen nicht erreichen!

Das Regierungsprogramm sieht in der Finanzbildung einen Schwerpunkt. Insbesondere als junger Aktionär kann man bei einer Präsenz-HV viele positive Lerneffekte mitnehmen, die einen auf das lebenslange Investieren und für eine nachhaltige, selbständige Vorsorge vorbereiten. Das so wichtige Auskunftsrecht in der Präsenz-Hauptversammlung verschafft auch uns jungen Kleinaktionären die Gelegenheit, den Vorstand und Aufsichtsrat persönlich mit relevanten Fragen zur Tagesordnung, zum Jahresabschluss und somit zum gesamten Unternehmen zu fordern. Die daraus resultierenden Informationsgewinne und Lerneffekte, die Wahrnehmung des Mitbestimmungsrechts und vieles mehr sind gute Gründe dafür, als junger Aktionär eine Präsenz-HV zu besuchen. Diese Möglichkeit der Finanzbildung, auch in Form des Networkings und Informationsaustausches im Anschluss, würde man uns jungen Aktionären mit einer virtuellen HV nehmen. Dies kann nicht im Sinne der Finanzsbildungsinitiative sein, die Teilnahme an HVs sollte eher gefördert werden!

Das Argument der Digitalisierung ist nicht überzeugend, es ist nicht mehr als ein unüberlegter Vorwand.

Kolumne im Börsen Kurier am 01. Juni 2023 veröffentlicht von:

DOMINIK HUBER

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