Sell in May and go away but remember to come back in September?

Dieser alten Börsenweisheit liegt die These zugrunde, dass Anleger angeblich eine höhere Rendite erzielen, wenn sie im Mai ihre Gewinne an der Börse sichern und erst im Laufe des Septembers wieder einsteigen. Eine andere Version rät sogar, überhaupt erst im November wieder an die Börse zurückzukehren. Nun haben Börsenweisheiten den Ruf, wie Bauernregeln zu sein – sie treffen zu, oder auch nicht. Der September ist aber statistisch gesehen tatsächlich der schlechteste Börsenmonat. Das ist auch Zufall, aber nicht nur!

Betrachtet man den Aktienindex S&P 500 im Fünf-, Zehn-, 15-, 20- und 25-Jahre-Vergleich ist der September der einzige Kalendermonat, der im Schnitt negative Erträge abwirft. 17 der vergangenen 25 September endeten in negativen Erträgen, auch das ist rekordverdächtig. Zum Vergleich: Nur acht der vergangenen 25 Oktober waren negativ, und das, obwohl ein Oktober, nämlich jener von 2008, der schlimmste Monat seit 25 Jahren überhaupt war. Der Oktober 2008 war jener Monat, der der Lehman-Pleite folgte, welche die Finanzkrise auslöste. Als Erklärungs-Versuch für einen schwachen Börsen-September gilt unter anderem, dass bei einigen Publikumsfonds das Geschäftsjahr in diesem Monat endet. Sie trennen sich also kurz vor Geschäftsjahresende häufig noch von unrentablen Investments oder nehmen bei gut gelaufenen Titeln Gewinne mit. Bei der Mehrheit der Publikumsfonds endet aber das Geschäftsjahr mit Ende Dezember. Große Auswirkungen durch die beschriebenen “Window-Dressing-Effekte” wären also eher im Dezember zu erwarten. Der statistisch schwache September könnte auch an einer “selbsterfüllenden Prophezeiung” liegen.

Vor Jahrzehnten war aber die Börsenregel “Sell in May and go away…” noch eher nachvollziehbar als heute. Anleger hatten keinen vergleichbaren Zugriff auf den Aktienmarkt und Dividenden spielten eine deutlich größere Rolle als heute. Daraus resultierte der Effekt, dass viele Anleger ihre Dividenden aus dem Frühjahr mitnahmen und vorübergehend ausstiegen. In der Zeit des Sommerurlaubs waren die Depot-Zugriffsmöglichkeiten eingeschränkt, falls etwas schief laufen würde. Online-Banking und Online-Trading waren vor und kurz nach der Jahrtausendwende vollkommen unvorstellbar. Der Aktienhandel wurde über ein Telefonat mit dem Banker geführt. Und die Informationsbeschaffung war weitaus schwieriger als heute.

In stürmischen Zeiten wie diesen hat der Börsenmarkt aber mit schwerwiegenderen Themen als statistischen zu kämpfen. Weltpolitische Konflikte, Inflation, Zinsen und Energiepreise halten die Börse im Würgegriff. (Ver)alte(te) Börsenregeln verpuffen folglich als nebensächliche Angelegenheiten. Ein gut diversifiziertes Portfolio, breit über unterschiedliche Einzelwerte und Assetklassen gestreut, ist in Krisenzeiten unabdingbar!

Kolumne im Börsen Kurier am 13. September 2023 veröffentlicht von:

DOMINIK HUBER

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